Lesen vor vielen Menschen, die einen erwartungsvoll anschauen? Damit hat selbst so mancher Autor seine Schwierigkeiten.
Die Hände werden feucht, die Stimme beginnt zu beben. Doch die besten Vorleser aus den sechsten Klassen der Kooperativen Gesamtschule Sehnde bekämpften tapfer ihre Nervosität und stellten sich der Herausforderung, vor einer kritischen Jury und dem kompletten fünften Jahrgang zu lesen. Besonders knifflig: Neben einem selbst ausgesuchten Text mussten die Anwärter auf den Schulsieg auch aus einem unbekannten Buch vorlesen. Und das hatte es mit zahlreichen unbekannten Wörtern in sich.
Respekt haben alle acht verdient, am Ende siegten Svenja Bruns vom Gymnasial- und Isabell Ihme vom Haupt/Realschulzweig. „Am schlimmsten ist die Aufregung“, sagte Mia. „Da fängt man an zu zittern.“ Die Siebtklässlerin war im Vorjahr eine der Schulsiegerinnen – diesmal saß sie in der Jury und hörte genau hin. Auf Lesetechnik, Interpretation und, zumindest beim vorbereiteten Text, auf die Auswahl der Textstelle. Was für Mia das Schwierigste am Vorlesen ist? „Man muss aufpassen, dass man nicht zu schnell wird.“ Einen kompletten fünften Jahrgang ohne Musik und flimmernde Bilder in den Bann ziehen? Die Spannungskurve hochhalten? Dazu gehört schon etwas. Etwa eine gleichermaßen spannende wie witzige Geschichte. Für „Gangsteroma“ heimste Henrik aus der 6Gd zahlreiche Lacher ein.
Zu drollig brachte er zu Gehör, wie Ben und seine Oma, die in London die Kronjuwelen stehlen wollen, von der Polizei angehalten werden und sich gerade noch aus der Affäre ziehen können. Mit viel innerer Bewegtheit beschwor dagegen Tarah den gruseligen Moment herauf, in dem Emily Bones in die Spiegelaugen ihres Mörders blickt und ins Vergessen sinkt. Als sie vorlas, wie einer der Protagonisten auf die Uhr schaute, tat Svenja das gleiche. Sie erklärte vorweg, dass „Pelerine“ ein anderes Wort für Cape ist. Und sie vergaß auch nicht, zu erwähnen, dass das von ihr ausgewählte Buch „Die Glücksbäckerei“ auch in der Schulbücherei ausleihbar ist. Die wohl schwerste Aufgabe hatte Letizia: Sie musste einmal als Erste und einmal als Letzte lesen.
Da sich die Schüler das Buch für ihren Vortrag selbst aussuchen können, lernten die Lehrer im Zuge des Wettbewerbs durchaus auch für sie neue Lektüre kennen. „Klassiker“ gab es aber auch. „Bei den Jungen standen die „Drei ???“, bei den Mädchen die „Drei !!!“ hoch im Kurs, wusste Jennifer Panke, die den Vorlesewettbewerb an der KGS organisiert hatte. „Gregs Tagebuch“ war ebenfalls beliebt, auch bei denen, die sonst eher nicht zu den Leseratten gehören. Das ungewöhnlichste Werk, das beim Lesewettbewerb vorgetragen wurde, waren „Die Känguru-Chroniken“ von Marc-Uwe Kling.
Die Spanne der Lesefähigkeiten sei groß, auch im Gymnasialbereich, sagte die didaktische Leiterin der KGS, Evelyn Gröne. „Es gibt Vielleser, die souverän vortragen und die Inhalte gut wiedergeben können. Es gibt aber auch Kinder, die sich schwertun.“ Der Vorlesewettbewerb, davon ist Gröne überzeugt, komme aber bei den meisten gut an. Und mache Lust auf das eine oder andere vorgestellte Buch – und damit aufs Lesen grundsätzlich. Ob nun das Fußballmagazin „Kicker“, Märchen, Fantasy oder Comics: „Wenn die Kinder lesen, ist das gut.“ Am klasseninternen Wettbewerb nahmen alle teil. Und die, die sich besonders schwertaten, bekamen die Möglichkeit, etwa leise zu lesen oder das Lesen aufzunehmen.
Doch im Schulfinale galt es, die Öffentlichkeit auszuhalten. Und das auch noch beim Vorlesen eines unbekannten Textes. Zwei Minuten können dabei furchtbar lang sein. Zumal, wenn einem in dem Buch „Die Seiten der Welt“ in wenigen Sätzen unverhofft und unvorbereitet nicht nur englische Namen, sondern auch unbekannte Wörter zuhauf überraschen. Katakomben und Ebenbild, Frontispitz und Argwohn, Kartografie und Bibliomatik: Das kann einen schon mal zum Stocken bringen. „Der ungeübte Text ist deswegen immens wichtig, weil sich daran Sprachgefühl und Sprachverständnis zeigen“, sagte die Fachbereichsleiterin Deutsch, Birte Bohnhof-Zuschke.
Svenja jedenfalls war nicht zu beeindrucken. Äußerlich ruhig, ließ sie sich nicht aus dem Konzept bringen und las unaufgeregt und souverän aus dem ersten Teil der Trilogie von Kai Meyer, einer Saga von einer Welt voller Bücher. Gemeinsam mit Isabell Ihme aus dem K-Zweig wird sie die KGS im Februar beim Regionsentscheid des bundesweiten Vorlesewettbewerb vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels vertreten. Und das ist ein Heimspiel: Bereits zum wiederholten Male richtet die KGS diese Runde aus.
(Sandra Köhler/haz)