Der Kultusminister spricht im Interview über flexible Lehrer und Eltern, über Notfallbetreuung und Schulabschlüsse.
Seit Montag haben alle Schulen und Kitas wegen der Corona-Krise im Land geschlossen. Die Kinder bleiben zu Hause, Notbetreuungsgruppen gibt es nur für Ausnahmefälle. Und nun? Fragen an Niedersachsens Kultusminister.
Herr Minister Tonne, die Schulen sind im Ausnahmezustand, wie lange geht das gut?
Zunächst einmal möchte ich loben, wie schnell sich alle Beteiligten auf die neue Situation eingestellt haben – das gilt für Schulleiter, Lehrer, aber auch speziell für Eltern. Wir haben uns die Entscheidung, die Schulen bis zum 18. April zu schließen, nicht leicht gemacht und lange abgewogen. Aber Hauptziel ist es, der Dynamik der Neuinfektionen das Tempo zu nehmen. Natürlich sind die Kita- und Schulschließungen kein unendlicher Zustand, wir gehen zurzeit davon aus, dass wir jetzt schließen und dann in der Woche nach den Osterferien im Normalmodus weitermachen.
Länger nicht?
Eine Verlängerung plant zurzeit niemand, das wäre verfrüht. Entsprechenden Mutmaßungen widerspreche ich entschieden. In der Corona-Krise gilt es aber, die Lage von Tag zu Tag zu bewerten und wenn nötig zu reagieren.
Die Schulleiter sagen, dass die Aufgaben, die die Lehrer den Schülern für die nächsten Wochen mitgegeben haben, ein Beschäftigungsangebot sind, keine Pflicht. Das haben Sie selbst auch so gesagt. Verträgt sich das mit dem Bildungsauftrag?
Der Unterricht fällt ersatzlos aus, deshalb bekommen die Schüler auch keine Aufgaben, die sie erledigen müssen, und dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Erstens: Niedersachsens Schulen sind zu unterschiedlich in ihrer digitalen Entwicklung, vor allem die Grundschulen haben noch keine digitale Lernplattform. Zum anderen fiel die Entscheidung zu den Schulschließungen sehr kurzfristig, und man kann von Lehrern nicht über Nacht verlangen, zwei Wochen Unterricht vorzubereiten. Alle Angebote, die Schulen machen, sind also freiwillig. Ich bin den Schulen, die das machen, aber sehr dankbar für ihr Engagement. Alles das, was die Schüler in den schulfreien Wochen an Leistungen bringen, darf nicht für die Bewertung herangezogen werden. Ich sage aber ausdrücklich, wir haben nicht die Ferien verlängert.
Rächt sich, dass das Land versäumt hat, seinen Schulen eine digitale Grundausstattung mitzugeben?
Von einem Versäumnis würde ich nicht sprechen. Das Lernen mit digitalen Medien ist ein Prozess, das kann ich nicht einfach von oben verordnen, und dann ist alles fertig. Da ist schon sehr viel in Bewegung, zahlreiche Schulen haben sich auf den Weg gemacht, aber nicht alle Schulen sind schon so weit. Natürlich können die Lehrkräfte ihren Schülern Materialien an die Hand geben, man kann sich auch mal zu einer Telefonkonferenz per Skype zusammenschalten, aber es bleibt beim Prinzip der Freiwilligkeit.
Normalerweise beginnen nach den Osterferien die Abschlussprüfungen. Wie wollen Sie sicherstellen, dass den Neunt-, Zehntklässlern und den Abiturienten wirklich keine Nachteile entstehen?
Der prüfungsrelevante Stoff ist in den Schulen an vielen Stellen schon behandelt worden. Jetzt geht es um das vertiefende, wiederholende Lernen. Das sollten die Schüler nun zu Hause machen. Wo Einzelprüfungen ausfallen, werden wir Ersatzleistungen ermöglichen. Schüler, die eine Arbeit nicht schreiben, können möglicherweise ein Referat halten. Es bleibt dabei: Keinem Schüler entsteht ein Nachteil. Egal ob Sekundarstufe I oder Abitur – kein Schüler muss sich Sorgen machen und schlaflose Nächte haben. Damit die Abiturienten keinen Kaltstart erleben – die erste Prüfung ist Geschichte am 20. April –, kommen sie bereits am 15. April wieder in die Schule.
Die Prüfungsaufgaben werden ein Jahr vorher entwickelt. Sollten die Schulschließungen länger andauern, müssten eventuell schnell andere Aufgaben gestellt werden?
Normalerweise ist die Entwicklung der Prüfungsaufgaben eine langwierige Aufgabe, das stimmt, aber wir sind nicht im Normalbetrieb. Notfalls muss es auch mal anders gehen. Wir sind in einer Situation, die von allen Beteiligten unverschuldet ist.
In den Notfallgruppen in den Schulen sind kaum Kinder. Müssen die starren Vorgaben möglicherweise ein bisschen gelockert werden, damit auch andere berufstätige Eltern in den Genuss der Ausnahmebetreuung kommen?
Nein, denn genau das ist das Ziel: möglichst kleine Gruppen! Die Kinder sollen zu Hause betreut werden, und ich bin froh, dass die meisten Eltern das auch hinkriegen. Wären 70 Prozent der Kinder doch wieder in Kitas und Schulen zur Betreuung, wäre niemandem geholfen. Wir haben uns in der Frage Notfallbetreuung oder absolutes Betretungsverbot für den risikobehafteteren Weg entschieden, aber die Ausnahme muss auch die Ausnahme bleiben.
Was raten Sie Eltern, die nicht wissen, was sie mit dem gelangweilten Nachwuchs tun sollen?
Ein Buch aus dem Regal nehmen, ein Gesellschaftsspiel spielen, was man lange nicht gemacht hat. Wer Zugang zum Internet hat, findet dort auch eine Menge kurzweiliger Lernprogramme. Wer die Möglichkeit hat, kann natürlich auch in den eigenen Garten gehen. Ohne Frage, das ist alles ungewohnt und muss sich zu Hause vielleicht erst einspielen. Und natürlich ist es ungleich schwieriger, die Kinder zu beschäftigen, wenn man nebenbei auch noch im Homeoffice arbeiten muss.
Wie lange gibt es denn überhaupt noch Arbeit für die Lehrer? Werden sie irgendwann nicht mehr bezahlt?
Kein Landesbediensteter muss Angst um seine Besoldung oder um sein Gehalt haben. Für die Lehrkräfte gibt es auch ohne Unterricht genügend zu tun, sie können das erledigen, was im Tagesgeschäft oft liegen bleibt.
(Interview: Saskia Döhner/haz)